19. Januar 2023
Franziska Krenz

Streaming - Folge 01 - Zeitreise

Es war der 02.01.2023 und das VAST FORWARD Team traf sich, wie jeden Montag, zum wöchentlichen Check-In per Video-Call. Es war der erste Arbeitstag des neuen Jahres.
Wir erzählten uns von Familienbesuchen und Treffen mit alten Freunden, von leckeren Weihnachtsbraten, von passenden und unpassenden Geschenken und davon, wie wir den Jahreswechsel verbracht haben.

Die meisten von uns haben zu viel gegessen, die ein oder andere auch zu viel getrunken. Unsere Kinder haben viel zu viele Geschenke ausgepackt und vielleicht hatten ein paar von uns auch irgendwann zu viel von der Familie.
Nicht erst im Gespräch mit den Kolleg*innen fiel mir auf: ich habe in der Zeit zwischen den Jahren definitiv viel zu viel gestreamt.
Und da waren sie, eine Frage und eine Mission:
Die Frage: Welchen Einfluss hatte mein “hemmungsloses” Binge-Watching auf die Umwelt?
Die Mission: Einen Blogpost schreiben! Über das Streaming-Verhalten der Menschen, wie sehr wir damit das Klima beeinflussen und was wir in Zukunft besser machen können!

In Folge 01 unserer neuen Blogpost-Serie zum Thema Streaming werfen wir einen Blick zurück. Darauf, wie wir das Jahresende verbracht haben, wie alles begann und wie die Cloud zu einer Wolke wurde.

"Weihnachten ist die glorreiche Zeit des großen Zuviel" Leigh Hunt, englischer Autor, 1784-1859

Seit fast drei Jahrzehnten begleitet das Streaming unser Leben, wächst stetig und hilft uns insbesondere durch die Weihnachtszeit, den Jahreswechsel und die Zeit dazwischen.

Bereits in den Tagen und Wochen vor Weihnachten warten wir darauf, dass sich eine besinnliche Stimmung einstellt, die uns über die Weihnachtszeit hinaus bis ins neue Jahr trägt. Bei wem sich dieses heimelige Gefühl nicht von selbst einstellen will, dem hilft dabei das unermessliche Angebot an Weihnachtsserien und Weihnachtsfilmen im Video-on-Demand-Programm zahlreicher Streaminganbieter. Beim Plätzchenbacken und Adventskranzbasteln begleiten uns zuverlässig die Weihnachtsplaylists auf Amazon Music Unlimited, Spotify, Apple Music und einer Fülle anderer Musikstreamingdienste.
Und wenn uns der Sinn danach steht, können wir auf der Live-Gottesdienst-Plattform von Bibel TV durchgehend den Gottesdiensten aller christlichen Konfessionen der Partnergemeinden des Senders beiwohnen.

Bei mir zuhause knisterte zur Bescherung ein gestreamtes Netflix-Kaminfeuer.
Dabei hat zwar keine*r der Anwesenden ein Streaming-Abo ausgepackt, doch eine Seltenheit ist auch das inzwischen nicht mehr. Streaming-Abos liegen immer öfter unter dem Weihnachtsbaum. Fast fünf Prozent der Verbraucher in Deutschland verschenkten im Jahr 2020 zu Weihnachten ein Abo für einen Streaming-Dienst. Im Jahr zuvor waren es noch rund zwei Prozent. Damit lagen Streaming Abos im Jahr 2020 auf Platz 5 der beliebtesten Weihnachtsgeschenke, was sicher vor allem auch den Corona-Lockdowns zuzuschreiben ist.

Nicht zuletzt nutzen vor allem Kinder und Jugendliche die wohlverdienten Weihnachtsferien zum ausgiebigen YouTube- und TikTok-Konsum. Es wurden Insta-Storys gepostet und während Videokonferenzen mit Freunden parallel Highscores in Online-Spielen geknackt.

Eher an der Elterngeneration liegt es wohl, dass sich auch das Streamen von TV-Sendern über das Internet auf einem Wachstumskurs befindet. Im Jahr 2022 lag der Anteil der deutschen Haushalte, die einen TV-Zugang über ihren Internetanschluss nutzten, ihr Fernsehprogramm also per IPTV empfingen, bei fast zwölf Prozent. Und so schweben wohl auch die üblichen Klassiker wie „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ oder „Dinner for One“ von Jahr zu Jahr immer öfter per Streaming in deutsche Wohnzimmer.

Generationen übergreifend summieren sich auf unserem Streaming-Konto zum Jahresende und insbesondere zum Jahreswechsel auch die Video-Calls mit der Familie oder Video-Grußbotschaften an unsere Liebsten. Geschätzt rund 63% der Deutschen übermittelten zum letzten Jahreswechsel ihre Neujahrsgrüße über Videoanrufe.

Streaming macht inzwischen 82% des Netzverkehrs aus

Alles in allem macht das Streaming aktuell etwa 82% des Netzverkehrs aus und ist somit gleichzeitig auch Hauptquelle digitaler Verschmutzung.
Die Zahl der Streamingangebote steigt stetig, genauso wie die Anzahl ihrer Nutzer*innen. Mit diesem rasanten Wachstum nehmen auch die Umweltbelastungen zu.

2025 wird das Streaming 30 Jahre alt.
Laut der Weltwetterorganisation (WMO) ist es wahrscheinlich, dass wir bis dahin bereits auch die 1,5-Grad-Grenze der globalen Erwärmung überschreiten, wenn auch vorerst nicht dauerhaft.

Einer vom französischen „The Shift Project“ im Jahr 2019 veröffentlichten Studie zufolge, soll eine halbe Stunde Streaming 1,6 Kilogramm Kohlendioxid verursachen, was einer Autofahrt von 6,2 Kilometern entspricht.

Das Fraunhofer-Institut hat die Genauigkeit dieser Berechnung zwar widerlegt, dennoch verursacht das Streaming einen nicht zu unterschätzenden Anteil klimaschädlicher Treibhausgase.

EINE KLEINE ZEITREISE -
Am Anfang war der Text

Die kommerzielle Nutzung des Internets begann im Jahr 1990.
Damals bot das World-Wide-Web eher rudimentäre Nutzungsmöglichkeiten und brachte Laien kaum Spaß. Nutzer*innen wählten sich über die wenig leistungsstarken Leitungen des vorhandenen Telefonnetzes ins Internet ein. Im Grunde war so ausschließlich das Lesen von datenleichten Texten möglich.

Der Webbrowser NCSA Mosaic war 1993 einer der ersten, der Standbilder auf der Browserseite anzeigen konnte. Im selben Jahr machte das Internet schätzungsweise nur 1 % der Informationsflüsse der weltweiten Telekommunikationsnetze aus.

Damit auch Töne und Videos über die damals vorhandenen Telefonleitungen verbreitet werden konnten, mussten die Daten zunächst in ein digitales Format gebracht und anschließend stark komprimiert werden.

Dabei half auch eine deutsche Erfindung, die am 14. Juli 1995 offiziell ihren Namen erhielt – mp3.
Karlheinz Brandenburg tüftelte mit seinem Team am Fraunhofer Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) fast 10 Jahre lang daran, eine Audiodatei so zu verschlanken, dass nur die für das Gehirn wichtigen und angenehmen Informationen übrig bleiben und so über Telefonleitungen übertragen werden können. Für seine Studien wählte er die acapella-Version des Songs „Tom’s Diner“ von Suzanne Vega, die damals in der Fachwelt gern zum Testen von Lautsprechern verwendet wurde.

Kurz nach der Einführung von mp3 folgte ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zum Streaming. Vielleicht kann der 5. September 1995 sogar als Geburtsstunde des Internet-Streaming bezeichnet werden.
An diesem Tag stellte RealNetworks den ersten Audio-Live-Stream, einen Kommentar zu einem Baseballspiel zwischen den Seattle Mariners und den New York Yankees, ins Netz.

Zwei Jahre darauf, im Oktober 1997, ging das erste Streaming Video online – ein Kurzfilm von Spike Lee, der eigens für die Markteinführung des RealPlayer produziert wurde.
Der Start des Video-Streamings war eher holprig, da auch hier zunächst die Dateien verschlankt werden mussten. Das Problem: Ein Video braucht für eine flüssige Darstellung datenintensive Details – Kompression bedeutet, genau diese wegzulassen. Das Herunterrechnen der Anzahl der Pixel im Bild, bedeutete einen Verlust an Daten und mündete in einer eher schlechten Bildqualität.

In den 90er Jahren mussten sich Inhalt und Qualität von Audio- und Videostreams noch der Infrastruktur beugen, doch mit dem wachsenden Internet und der Einführung neuer Technologien wurde die Komprimierung bald nutzlos und fiel weg.

Den Anfang dieser Entwicklung stellt wohl die Einführung von ADSL zu Beginn der 2000er Jahre dar.
Das Breitbandnetz ermöglichte höhere Geschwindigkeiten und eine größere Datenflut als das bis dahin genutzte Telefonnetz – Breitband befreite die Welt von den Fesseln der Komprimierung. Allerdings war ADSL in seinen Anfängen zwar schnell und leistungsfähig, andererseits aber auch instabil. Da beim Streaming die Daten in Echtzeit gelesen werden, verdarb das Breitbandnetz in seinen Anfängen durch eine ruckelige Wiedergabe eher den Spaß am Streaming.

Vom Download zum Streaming

Die ersten Streaming-Versuche waren eher holprig. Wen wundert es da, dass vor dem Streaming der Download-Boom stand. Die damaligen Downloads dauerten zwar lange, weil ja zunächst die gesamte Datei auf den Computer übertragen werden musste. Sobald diese aber vollständig heruntergeladen war, konnte sie mit einem Klick ruckelfrei abgespielt werden.

Und obwohl ein Download lange dauerte, eröffnete er uns eine schöne neue Welt: Das grenzenlose Angebot.

Obendrein war die Datenflut meist kostenlos, weil illegal. Computer quollen über von Musik und Filmen, Server überhitzten und der Stromverbrauch schnellte in die Höhe.
Die älteren unter uns werden sich noch gut daran erinnern, wie damals unsere Rechner aufgrund der eingeschränkten Download-Geschwindigkeiten und ungezügeltem Film- und Musikkonsum nächtelang durch liefen.
Zudem stieg, nicht zuletzt durch das Downloading selbst, die Zahl der Computer und Internetanschlüsse in deutschen Haushalten sprunghaft an.
Besaßen im Jahr 1998 knapp 39% einen Computer und 8% einen Internetanschluss, waren fünf Jahre später schon 61% im Besitz eines Computers und 46% waren mit dem Internet verbunden.
Weitere 20 Jahre später ist nach oben kaum noch Luft – heute steht in 92% der deutschen Haushalte mindestens ein Computer und 95,5 % der Haushalte nennen einen Internetanschluss ihr Eigen.

Eine verheerende Entwicklung für die Umwelt, die kaum jemand bemerkte.

Ursprünglich zum Schutz des Urheberrechts, flüchteten sich Plattenfirmen ins Streaming und beendeten so die Download-Flut. Tatsächlich setzte sich am Ende das Streaming gegen das Downloading durch – auch dank kleiner monatlicher Abo-Kosten.
Allerdings trat mit dem Aufkommen von Streaming-Abos ein neues Problem in die Welt: Nutzer*innen besitzen die Daten nun nicht mehr physisch, sondern sie werden mit jedem Abspielen eines Liedes, eines Videos, eines Films, einer Serie aufs Neue durch die Leitungen geschickt und verursachen so klimaschädliche Emissionen, immer und immer wieder.

Am 24. April 2005 wurde auf YouTube das erste Video online gestellt. Spätestens jetzt wurde das Streaming zum Mainstream, denn nun hatte jede Person, die Zugang zu einem Computer und einem Internetanschluss hatte, die Möglichkeit, eigene Videos ins Netz zu stellen. Dass das vor gar nicht allzu langer Zeit nicht möglich war, ist heute kaum noch zu glauben.

Inzwischen werden täglich fast 6 Mrd. Videos auf Youtube konsumiert – 4 Mio. Videos pro Minute.

Am 09. Januar 2007 wurde das erste iPhone vorgestellt und kam zum Ende desselben Jahres in Deutschland auf den Markt. Diese Innovation – „an iPod, a phone and an internet communicator in one device“ – und die Einführung des neuen Mobilfunktstandards 4G, zwei Jahre später, sorgten endgültig dafür, dass wir das Internet ständig mit uns herumtragen und somit streamen können, wann und wo wir wollen.
Und das tun wir auch.

DIE CLOUD IST
KEINE WOLKE

Der Umweltverschmutzung durch Streaming liegt vor allem eine Psychologie zugrunde: Der Einfluss des Streamings auf die Umwelt war und ist für uns nicht sichtbar.

Etwa ab 2010 kamen Begriffe wie „virtuell“ und „Cloud“ auf. Sie vermitteln das Bild einer imaginären und reinen weißen Wolke und verschleiern dabei, dass das Internet tatsächlich aus Kabeln und Computern besteht, die mit Metallen und Kunststoffen durchsetzt sind und aus Daten, die durch Rechenzentren wandern, wo sie Unmengen an Energie verbrauchen.
Ein geschickter Marketing-Schachzug hat das Streaming also entmaterialisiert und verzerrt die Wahrnehmung seiner Nutzer*innen. Wer macht sich schon Gedanken darüber, dass die Cloud in Wirklichkeit keine Wolke ist und die Daten nicht einfach so durch die Luft schweben.

Tatsächlich verschmutzt das Immaterielle die Umwelt mehr als das Materielle.
Im Jahr 2020 verursachte der Musikstreamingdienst Spotify ca. 169.000 Tonnen CO2-Ausstoß. Das ist mehr als die gesamte US-Plattenindustrie im Jahr 2000 verursacht hat – damals, als Musik vornehmlich noch auf CD gepresst wurde.

In Anbetracht der rasanten Entwicklung des Streamings, ist es für uns längst an der Zeit, unser Tun zu überdenken.
Jede*r Einzelne von uns hinterlässt im digitalen Leben einen CO2-Fußabdruck von rund 849 kg.

Das Streaming nimmt davon einen nicht unerheblichen Teil ein – durch die Nutzung von Rechenzentren, Netzwerkinfrastruktur und Endgeräten.
Ob nun ein Video, Film, Lied, eine Podcastfolge, das Fernsehprogramm oder das Bild einer Webcam – alles, was wir tagtäglich streamen, füttert diese drei Quellen von Treibhausgas-Emissionen, die wir in den nächsten Folgen unserer Streaming-Serie genauer unter die Lupe nehmen.

Spoiler:

Bleibt dran für Folge 02 unserer Serie, in der wir einen Blick auf die Rolle der Rechenzentren beim Streaming werfen und auf ihren Einfluss auf Klima und Umwelt. Wo findet sich Einsparpotential, welche Möglichkeiten energieeffizienter Nutzung halten Rechenzentren bereit und was tun Streaminganbieter in Bezug auf die Rechenzentren für nachhaltigeres Streaming?

Quellen:

Nachhaltigkeit von Streaming von bitkom.org

Video-Streaming und CO2 von bitkom.org

Digitales Lagerfeuer von bitkom.org

Streaming-Verhalten der Deutschen von marktforschung.de

Virtuelle Weihnachten von videoaktiv.de

Frankenstream von arte.tv

Geschichte des Internets von wikipedia.org

20 Jahre mp3 von t-online.de