27. Mai 2025
Matthias Wagener
Am 27. Mai ist der 13. Deutsche Diversity-Tag – ein schöner Anlass, die Gender-(Sprach-)Debatte noch einmal unter die Lupe zu nehmen!
Gendern oder geschlechtergerechte Sprache bedeutet, dass in unserer Kommunikation alle Geschlechter sichtbar gemacht und angesprochen werden. Also neben Männern (z.B. Kollege) auch Frauen, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen (z.B. Kolleg*Innen). Das Ziel hierbei ist, sprachliche Gleichbehandlung zu fördern indem niemand ‘mitgedacht’ wird, sondern alle explizit genannt und damit einbezogen werden.
“Gender is performative” Judith Butler
Diese Aussage von Judith Butler aus ihrem Buch Gender Trouble zeigt, warum sprachliches Gendern nicht nur symbolisch ist, sondern eine wichtige gesellschaftliche Praxis darstellt.
Es gibt zahlreiche Studien die belegen, dass bereits Kinder von der Verwendung geschlechtergerechter Sprache profitieren können. Eine dieser Studien, durchgeführt von Jan Lenhart und Franziska Heckel im Jahr 2024, untersucht die Effekte von geschlechtergerechter Sprache auf die kognitive repräsentation von Frauen in stereotypisch männlichen Berufen unter Grundschulkindern. Bei einer Proband*innenzahl von 218 Dritt- und Viertklässler*innen ergab sich, dass die Nutzung geschlechtergerechter Formen bei den Mädchen zu einer höheren mentalen Repräsentation von Frauen in eben diesen Berufsgruppen führte. Diese einzelne Studie ist nur eine von vielen Hinweisen darauf, dass Gendern mehr als lediglich politisch korrekt ist, sondern dabei hilft eben jene traditionellen Rollenbilder aufzubrechen, welche u.a. das generische Maskulinum füttert.
Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, um geschlechtergerecht zu kommunizieren. Eine ist das sogenannte Binnen-I, welches seit den 1980er Jahren bekannt ist (z.B. KollegIn). Ironischerweise ist hier ein großer Kritikpunkt, dass der Fokus zu sehr auf der weiblichen Form liegt. Die Erweiterung des generischen Maskulinums um Klammern (z.B. Kolleg(in)) kann den Eindruck erwecken, dass die weibliche Form zweitrangig ist. Die derzeit am weitesten verbreitete Form ist das Gendersternchen, da diese nicht nur Frauen und Männer anspricht, sondern auch Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten mit einbezieht (Eigenrecherche).
Die Theorie der amerikanischen Wissenschaftlerin Butler über die Performativität von Geschlechtern beschreibt die Geschlechtsidentität nicht als ‘natürliche’ Gegebenheit, sondern als ein Resultat sich wiederholender sprachlicher und körperlicher Praktiken. Eine Aussage, die sich ziemlich passgenau auf die Debatte um das Gendern übertragen lässt und aufzeigt, dass eben die Sprache, welche wir heute als ‘Geschlechtsneutral’ wahrnehmen, tatsächlich das Ergebnis kultureller Performanzen ist. In anderen Worten: dadurch, dass wir immer wieder das generische Maskulinum verwenden, ‘machen’ wir das Geschlecht, wir legen den Fokus damit auf ‚das Männliche‘ und verfestigen damit auch gelernte gesellschaftliche Vorstellungen und Normen.
Dass Sprache unser Denken beeinflusst, wurde vielfach untersucht und auch belegt. Die erste Studie, welche sich ausdrücklich mit dem generischen Maskulinum und ihren psychologischen Effekten auseinandersetze, wurde von Irmen und Köhnke 1996 veröffentlicht und entwickelte sich zu einer Grundlage für viele der heutigen Arbeiten. Sie zeigte, dass Frauen bei der Nutzung des generischen Maskulinums eben nicht mitgedacht werden. Folgestudien, die die Teilnehmer*Innen mit alternativen Formen des Gendern konfrontierte (z.B. Doppelnennung, Schrägstrich, Doppelpunkt) zeigten, dass nur bei der direkten Nennung von Frauen, diese auch gedanklich mit einbezogen wurden. Wie oben bereits erwähnt, konnten Lenhart und Heckel in einer ähnlichen Studie ebenfalls deutlich machen, dass gendergerechte Sprache weit mehr ist als ein theoretisches Konzept sondern konkret Denkprozesse und Motivationen junger Menschen beeinflussen kann. Diese und viele andere Studien unterstützen den konkreten Nutzen gendergerechter Sprache ebenfalls (u.a. Best & Jampert, 2006; Braun et al., 2007; Leshin, 2025; Seitz & Lenhart & Rübsam, 2020; Vervecken & Hannover, 2015).
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich über Jahrzehnte zurückhaltend bis ablehnend gegenüber gendergerechter Sprache mit Sonderzeichen wie dem Genderstern oder Binnen-I positioniert. Die Begründung war vor allem mangelnde Lesbarkeit, grammatische Inkonsistenz und fehlende gesamtgesellschaftliche Akzeptanz. Argumente, die in progressiven Sprachmilieus der Feminismus-, Diversitätsforschung und inklusiven Bildung auf Kritik stoßen. Sprachkulturell ist der Einfluss des Rats zwar groß, seine Autorität jedoch begrenzt: Seine Regeln sind verbindlich für Schulen, Prüfungen, Amtsstuben und viele Verlage, regeln aber nicht den alltäglichen Sprachgebrauch in sozialen Netzwerken, Werbung oder journalistischen Stilfragen. In diesen Bereichen entstehen Freiräume, die der Rat nur beobachten, aber nicht steuern kann.
Dieses Gremium erkennt in der letzten Pressemitteilung zum Thema geschlechtergerechte Sprache vom 15. Dezember 2023 zwar die Aufgabe gendergerechter Schreibweisen an, empfiehlt jedoch – weiterhin aus Gründen der Lesbarkeit in Schulen und Behörden – keine Sonderzeichen im Regelwerk. Da dieses Regelwerk verbindlich für Schulen und die öffentliche Verwaltung ist, könnten Diskrepanzen zwischen dem Rat und einzelnen Bundesländern für Konflikte sorgen. So erklären einige Länder, darunter Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Bayern, Sonderzeichen in offiziellen Texten für unzulässig und werten deren Gebrauch als Fehler, während sie zugleich die Möglichkeit geschlechtsspezifischer Formulierungen wie „Kollegen und Kolleginnen“ zulassen. Der Rat gibt damit zwar den Takt für normierten Schreibgebrauch vor, besitzt aber keine alleinige Entscheidungsmacht über sprachliche Realität.
Die Debatte zeigt, dass die Frage der gendergerechten Sprache komplex ist und es keine einfachen Antworten gibt. Der Rat für deutsche Rechtschreibung betont die Bedeutung von Verständlichkeit und Lesbarkeit, welche wichtig sind und selbstverständlich auch von uns berücksichtigt werden. Trotzdem sind wir überzeugt, dass sich Inklusivität und Klarheit nicht ausschließen. Sprache ist immer im Wandel und es gibt viele Möglichkeiten, Sprache so zu gestalten, dass sie alle Menschen anspricht und trotzdem gut lesbar bleibt. Herausforderungen wie etwa die barrierefreie Nutzung von Sonderzeichen (zum Beispiel beim Vorlesen durch Screenreader) nehmen wir ernst.
Wir bei Vast Forward sehen Vielfalt als das A und O an und setzen daher auf eine klare, inklusive Formulierung, welche das generische Maskulinum vermeidet. Als Unterzeichner*innen der Charta der Vielfalt ist uns bewusst, wie wichtig Sprache für ein inklusives, effizientes und harmonisches Miteinander ist. Daher haben wir einen eigenen Gender Leitfaden entwickelt, an dem wir uns in unserer täglichen Kommunikation orientieren – so, dass sich alle Menschen angesprochen fühlen. Wir sind der Meinung, dass geschlechtergerechte Sprache mehr als nur ein Trend ist, sondern einen wichtigen Teil zu eben jener Gleichberechtigung beiträgt. Butlers Theorie hilft zu verstehen, warum Sprache nie neutral ist und warum es so wichtig ist, aktiv an ihrer Veränderung teilzunehmen. Eine Verantwortung, die wir ernst nehmen – weil wir Vielfalt nicht nur gut finden, sondern auch mitgestalten wollen.
Braun, F., Oelkers, S., Rogalski, K., Bosak, J., Sczesny, S. (2007), „Aus Gründen der Verständlichkeit …“: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten
Butler, J. P. (2006). Haß spricht: zur Politik des Performativen.
Butler, J. P. (2012). Das Unbehagen der Geschlechter. In Suhrkamp eBooks. https://doi.org/10.17877/de290r-10083
Genderverbot an Thüringer Schulen
Gygax, Pascal; u. a. (2008): „Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians and mechanics are all men”, Language and Cognitive Processes, Band 23, Heft 3, S. 464-485.
Irmen, Lisa; Köhncke, Astrid (1996): „Zur Psychologie des ‚generischen‘ Maskulinums“, Sprache & Kognition: Zeitschrift für Sprach- und Kognitionspsychologie und ihre Grenzgebiete, Band 15, Heft 3, S. 152-166.
Lenhart, J., Heckel, F., (2024), Effects of Gender-Fair Language on the Cognitive Representation of Women in Stereotypically Masculine Occupations and Occupational Self-Efficacy Among Primary School Girls and Boys
Leshin (2025), “Kids and Girls”: Parents convey a male default in child-directed speech
Mitgemeint gleich mitgedacht? Neue Studien zum generischen Maskulinum – Universität Würzburg
Rat für deutsche Rechtschreibung – Geschlechtergerechte Schreibung. Pressemitteilung vom 15.12.2023
Rothermund, P., & Strack, F. (2024). Reminding May Not Be Enough: Overcoming the Male Dminance of the Generic Masculine. Journal of Language and Social Psychology, 43(4), 468-485. https://doi.org/10.1177/0261927X241237739 (Original work published 2024)
Sczenzny, Sabine; u. a. (2016): „Can Gender-Fair Language Reduce Gender Stereotyping and Discrimination?”, Frontiers in Psychology, Band 7, Artikel 25.
Seitz, M., Lenhart, J., Rübsam, N., (2020), The effects of gendered information in stories on preschool children’s development of gender stereotypes